05
1999

Spezialisierung in der Mediation? Ein Erfahrungsbericht aus der Informations- und Telekommunikationsbranche

Spezialisierung in der Mediation?
Ein Erfahrungsbericht aus der Informations- und Telekommunikationsbranche

Die Mediation hat auch in Europa bereits in vielen Bereichen als intelligenter Konfliktlösungsansatz Einzug gehalten. Als Beispiele seien nur die seit langer Zeit durchgeführten Familienmediationen genannt Auch im Zusammenhang mit Groprojekten, bei denen es um komplexe Verwaltungsentscheidungen geht oder das genaue Gegenteil hiervon dort, wo Nachbarschaftsstreitigkeiten ausgetragen werden sollen, konnte die Mediation Erfolge feiern. Die Sinnhaftigkeit innerbetrieblicher Mediation ist, wenngleich noch kontrovers diskutiert, ebenfalls bereits anerkannt. Diese verschiedenen Bereiche, in denen Mediationen sinnvoll sein können, werden immer wieder zitiert und sind Gegenstand zahlreicher erhellender Beiträge. Für die Wirtschaft zeigt allein das bereits dreijährige Bestehen des „Bundesverbandes für Mediation in Wirtschaft und Arbeitswelt e.V.“(BMWA), dass hier gleichfalls alternative Konfliktlösungsmethoden auf dem Vormarsch sind. Mit diesem Beitrag widmen wir uns einem Sektor, der bislang bei der Berichterstattung über erfolgreiche Mediationen kaum angesprochen wird. Dies ist um so verwunderlicher, als gerade die Informations- und Telekommunikationsbranche, die im Folgenden näher betrachtet werden soll, den Ruf als eine besonders innovative Gemeinde innehat. In der Tat hat diese Branche bereits mehrfach bewiesen, wie experimentierfreudig sie auch dann sein kann, wenn es darum geht, neue Wege des Konfliktmanagements zu beschreiten. Dabei bilden die Konzerne -IBM und Fujitsu oder das in einem amerikanischen Schulungsvideo nachgestellte Beispiel von „Prosando“ und „HighTech“ nicht nur alleine stehende Paradebeispiele. Es gibt weitere Nachweise für erfolgreich verlaufene Mediationen: 

1. Erfolgsstorys

Ein junges Software-Entwicklerteam war seit Jahren für ein anderes, viel größeres Unternehmen auf Stundenhonorarbasis tätig. Es bemühte sich, stets rasch und in eiligen Fällen auch bereits auf fernmündliche Absprache und nicht erst auf schriftlichen Auftrag hin tätig zu werden. Neue Strukturierungs- und Sparmaßnahmen des Auftraggebers erforderten plötzlich ein „ordnungsgemäßes“ Auftragswesen. Außerdem vermutete der Auftraggeber auch, es seien zu viele Stunden für die Programmierleistungen abgerechnet worden kurzum: die letzten Rechnungen wurden nicht beglichen. Beide Unternehmen befanden sich in der uns allen nur zu geläufigen Situation, einerseits die langjährige Geschäftsbeziehung nicht durch einen Rechtsstreit zu gefährden, andererseits die berechtigten Forderungen für erbrachte Leistungen nicht einfach unter den Tisch fallen zu lassen. Der Druck lastete auf beiden Unternehmen immerhin so stark, dass sie sich auf das Experiment mit der Mediation einließen. Nach einigen Sitzungen war die Lösung gefunden: Den Durchbruch brachte der gemeinsam erklärte Wille, auch zukünftig zusammenarbeiten zu wollen. Danach war die Behandlung der aufgelaufenen Rechnungen fast kein Thema mehr. Abgerechnet wurde nach Festpreisen für die zuvor in Pflichtenheften beschriebenen Leistungen. Eine erfolgreiche Mediation muss jedoch nicht immer in der künftigen Zusammenarbeit der Kontrahenten gipfeln. Das Beispiel des „Tüftlers“ und des „Marketinggenies“ der eine Patentanmelder, der andere Markeninhaber für dasselbe erfolgreiche Produkt zeigt, wie eine „Abwicklungsmediation“ ablaufen kann. Zunächst herrschte ein Klima des Misstrauens und der Furcht vor Übervorteilung. Langsam konnte das Gefühl gegenseitiger Abhängigkeit und eigener Ohnmacht jedoch abgebaut werden. Die Parteien trennten sich zwar, hatten aber eine Lösung gefunden, die eine geplante und durchdachte Abwicklung beinhaltete. Diese beiden „Lösungen“ mögen auf den ersten Blick branchenunabhängig und unspezifisch erscheinen. Doch die knappe Schilderung sollte nicht darüber hinwegtäuschen, wie sehr technische Aspekte in diesen Gesprächen eine Rolle spielten. Die Wiedergabe in unserem Bericht klammert verständlicherweise detaillierte Beschreibungen der einzelnen Gesprächsinhalte aus.

2. Schnittstellenkompetenz

Es dürfte jedoch auf der Hand liegen, dass die Informations- und Telekommunikations-Branche, in vielleicht noch stärkerem Maße als andere Branchen, eine recht kryptische Terminologie verwendet. Hier spielen nicht nur Amerikanismen oder Abkürzungen für angelsächsische Begriffe eine Rolle, sondern auch ein besonderes Fachwissen um die technischen Zusammenhänge in der Datenverarbeitung. Wenn ein Mandant hier erst lange den Unterschied zwischen einer relationalen Datenbank und einem Textretrievalsystem erläutern, lang und breit erklären müsste, was ein MOSFET (Metalloxid-Feldtransistor) ist oder über den „KK“-Antrag (Konnektivitäts-Koordinations-Antrag) referieren sollte, wäre ein großer Teil des üblicherweise bei Mediationen vereinbarten Stundenhonorars bereits aufgezehrt. Diese Erkenntnis führt zu der hier vertretenen These, dass die Informations- und Telekommunikationsbranche auch im Bereich der alternativen Konfliktlösung der Beratung durch Mediatoren mit entsprechender Schnittstellenkompetenz bedarf. Eine Spezialisierung auf Mediationsgebiete fand in anderen Bereichen ebenfalls statt und liegt zu einem großen Teil wohl in der Natur der Sache. So kommt es sicher nicht von ungefähr, dass Familienrechtler und Psychologen seit jeher eher in der Familienmediation, Psychologen und Ausübende von Sozialberufen im Täter-Opfer-Ausgleich, Arbeitsrechtler und Sozialwissenschaftler vornehmlich in der betrieblichen Mediation tätig sind. Derjenige, der sich ein Fachgebiet in seinem angestammten Beruf erarbeitet hat, wird die Mediation als zusätzliches Instrument begreifen, das er bei der Konfliktlösung sinnvoll einsetzen kann. Die Kollegen, die sich losgelöst von anderweitiger Berufsausübung ausschließlich der Mediation widmen, dürften noch zur Minderheit zählen. In der gleichen Weise haben sich die Autoren dieses Beitrags aus dem Tätigkeitsschwerpunkt EDV-/Telekommunikationsrecht ihres juristischen Umfelds der Mediation für den Bereich der Informationsverarbeitung bzw. Telekommunikations- und Multimedia-Welt zugewandt Dies wird von uns als eine natürliche Entwicklung begriffen und führte schließlich zur Gründung der Mediation Network GbR zu Beginn des Jahres. Unser Ansatz liegt nicht in der Auffassung, Mediation erfordere über die Konfliktbearbeitungskompetenz hinaus unabdingbar rechtliches Fachwissen, sondern in unserer Überzeugung, durch jahrelange Branchentätigkeit die gleiche Sprache zu sprechen und zu verstehen wie unsere Auftraggeber. 

3. Gründe für eine Spezialisierung

Die Expertensprache ist nach unserer Auffassung jedoch nur ein Argument, das für eine Spezialisierung streitet. Eine Spezialisierung sehen wir auch dann als probates Mittel an, wenn einige der im Folgenden genannten Faktoren in einer Branche oder in einem Rechtsgebiet gegeben sind:

Hoher Grad an Arbeitsteilung

Wenn es viele gibt, die etwa als Schadensverursacher in Betracht kommen und daher die Anspruchsbegründung hinsichtlich der Passivlegitimation Schwierigkeiten bereitet. In der Datenverarbeitungswelt sind in den meisten Streitfällen mindestens ein oder mehrere Software- und Hardwarelieferanten sowie Dienstleister wie Netzwerkanbieter betroffen. Das zeigt sich vor allem bei den derzeit oft prophezeiten Schadensfällen im Zusammenhang mit der Umstellung des Datums zum Jahreswechsel. Beim Y2K-Problem wird bei Anwendung herkömmlicher Konflikteskalationsmethoden eine besondere Schwierigkeit darin liegen, zunächst einmal den richtigen „Schuldigen“ zu finden. Der zuerst Angesprochene wird seine Exkulpationsmöglichkeiten nutzen und erst auf einen der anderen Beteiligten deuten.

Geringe Sachkompetenz/Erfahrung der herkömmlichen Streitentscheider

Wenn sich Verfahren schon deshalb über Jahre hinziehen, weil Richter in noch so kleinen Fachfragen einen Sachverständigen herbeiziehen müssen, diese wiederum rar sind und so der Ausgang eines Prozesses noch schwerer prognostizierbar wird, als er ohnehin schon ist. In einem gerichtlich anhängigen Fall hatten wir nach einem Jahr Wartezeit endlich den Sachverständigen zur Begutachtung an der Computeranlage. Es dauerte ein weiteres Jahr, bis sein Gutachten erstellt war.

Gegenseitige Abhängigkeit

Wenn die Schadensbehebung oftmals ohne das Know-how des Verursachers nicht funktioniert oder zumindest sehr erschwert wird. Ohne den Sourcecode der Software kommt man bei einem Softwareproblem nicht weit und eine Dekompilierung ist nur mit unverhältnismäßig hohem Aufwand möglich. Bei sog. „embedded Systems“, kleinen Computerbauteilen mit Eigenfunktionen, die „eingebettet“ in größeren Systemen ihre Arbeit verrichten, ist dem Nutzer und oft selbst Fachleuten nicht einmal bewusst, an welchen Stellen solche Subsysteme enthalten sind, geschweige denn, welche Funktion sie im Einzelnen wahrnehmen. In der „Jahr2000-Problematik“ werden diese „embedded Systems“ eine große Rolle spielen. Hinzu kommt der extreme Mangel an geeignetem Personal. Der Programmierermarkt ist derzeit leergefegt.

Geringe Entwicklungszyklen

Wenn eine Branche besonders innovativ ist, eine große Fluktuation herrscht und sie im steten Umbruch begriffen ist. In der Datenverarbeitungswelt entstehen stündlich neue Anbieter genauso viele verschwinden wieder, sei es durch Übernahmen, Fusionen oder Insolvenz. Die Produktentwicklung schreitet so schnell voran, dass beispielsweise auf dem Segment der Grafikkarten alle halbe Jahre eine neue Generation entsteht. Hier sind schnelle Lösungen und Handlungsweisen gefragt. In dem bereits oben angesprochenen Fall des lange erwarteten Gutachtens entschied das Gericht dann immerhin binnen weiterer acht Wochen sogar zu unseren Gunsten. Viel nützte es allerdings nicht mehr der Beklagte war inzwischen insolvent geworden. „Titel ohne Mittel“ nennt der Anwalt lapidar solch traurige Ergebnisse. Die Erkenntnis des Geschädigten, selbst trotz Obsiegens nichts zu erhalten und auch noch für die eigenen Anwaltsund Gerichtskosten aufkommen zu müssen, lässt ihn nur allzu oft zu Recht den Glauben in die Rechtsstaatlichkeit verlieren. 

4. überzeugungsarbeit und Verbandszugehörigkeit

Wer auf Grund seiner Spezialisierung zur „Szene“ gehört, hat es außerdem leichter, auf Messen, Vortragsveranstaltungen, Workshops etc. die immer noch notwendige Überzeugungsarbeit für die Vorteile einer zwar moderierten, aber dennoch selbst bestimmten Konfliktlösung leisten zu können. Gerade auf Grund der Besonderheiten in der Informations- und Telekommunikationsbranche bestehen gute Chancen dafür, dass die Argumentation fruchtet. Denn es stellt sich relativ oft heraus, dass vermeintliche Gegner nur gemeinsam wirtschaftlich überleben können. Allein die als sicher nicht besonders phantasievoll bekannten Rechtsanwaltskammern kennen weit über 100 Interessen- und Tätigkeitsschwerpunkte für Anwälte. Die Lebenswirklichkeit dürfte um einiges vielfältiger sein. Daher denken wir, dass sich Mediatoren noch viele Anwendungsgebiete „ganz speziell“ für sich erschließen werden. Diese Nischenbildung darf auf der anderen Seite nicht zu Insellösungen führen. Das Grundprinzip der Mediation, den Kuchen zu vergrößern, sollte im Rahmen der Verfolgung eigener Berufsziele nicht außer Acht gelassen werden. Da die Mediation noch nicht so etabliert ist wie jahrtausendelang gewachsene, herkömmliche Konfliktlösungsstrategien, sollten alle an der Mediation ernsthaft Interessierten an einem Strang ziehen. Der Verbandszugehörigkeit kommt in dieser Hinsicht nach dem Motto „gemeinsam sind wir stark“ eine nicht zu unterschätzende Rolle zu. Nun wäre es unter dem Gesichtspunkt der bereits angeführten Insellösungen eher kontraproduktiv, für jede Berufsgruppe einen eigenen Verband zu gründen. Zumindest für den Bereich der Mediation in der Wirtschaft im weiteren Sinne existiert bereits der oben genannte BMWA, dessen Ausrichtung auf die interdisziplinäre Mediationsausübung zielt. Unter seinem Dach vereint er unter anderem Juristen, Psychologen und Sozialwissenschaftler.

Antje Streckhardt/Konstantin Malakas, Rechtsanwälte, Mitglieder des BMWA, Mediation Network, Ennigerloh und Würzburg, e-Mail: Info@MediationNetwork.de

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